Eltern bleiben – trotz Krebs

Nicht nur für die Betroffenen ist es eine schwierige Zeit. Nicht nur der Erkrankte trägt schwer an dieser Situation – auch für die Angehörigen ist sie belastend. Ungewissheit, Ängste, Befürchtungen und Hilflosigkeit stellen eine große Herausforderung für Erwachsene wie auch für Kinder dar.

Eltern sind gefordert, einen Weg zu finden, mit dieser herausfordernden Familiensituation umzugehen. Sie tragen die Verantwortung – für sich selbst und für ihre abhängigen, bedürftigen Kinder. Gerade in unsicheren und beängstigenden Zeiten suchen Kinder Schutz, brauchen die Präsenz und Verlässlichkeit ihrer Eltern. Eltern sollen für ihre Kinder da und verfügbar sein, ihnen ein Vorbild sein und mit gutem Beispiel vorangehen. Sie müssen selbst daran glauben, dass alles wieder gut werden kann.

WIE? Wie sollen Eltern das alles schaffen? Wie können sie in einer schweren Krise, in dieser absoluten Ausnahmesituation, die perfekten Erziehungsberechtigten sein?

Nach einer Krebsdiagnose sind Eltern häufig geschockt, gelähmt und überfordert. Ihr Leben steht Kopf, die Emotionen überwältigen sie, sie bangen um ihr Leben. Gedanken rasen durch den Kopf: über die gemeinsame Zeit, die ganze Familie – und unendlich viele Gedanken um die Kinder.
„Werde ich sie aufwachsen sehen? Wie schön war der letzte Geburtstag – aber werden wir die nächsten Feste gemeinsam erleben können? Werden sie mich noch an ihrer Seite haben?“ – Die Überlegungen überschlagen sich.

Alles dreht sich um die Kinder – weil sie alles bedeuten. Und doch fehlen oft die Worte. Die Stimme wiederzufinden, braucht Zeit, Mut und Kraft. Es erscheint fast unerreichbar, als gefestigte Eltern aufzutreten, die klar, offen und zugleich mit Feingefühl und Empathie mit ihren Kindern sprechen können.

Wie finden Eltern Worte für etwas, über das sie selbst kaum sprechen können? Der erste Schritt zu einem Gespräch mit den Kindern ist das Gespräch der Eltern untereinander. Das offene Aussprechen von Ängsten verleiht dem Unbekannten eine Gestalt – und lässt die Angst schrumpfen. Wenn Eltern sich gegenseitig austauschen, schafft das eine gute Grundlage für das Gespräch mit den Kindern.

Manchmal brauchen Erwachsene Unterstützung – jemanden, der Worte findet, die ihnen fehlen. Jemanden, der erklärt, der berät, der Zusammenhänge herstellt. Das ist nicht nur in Ordnung – es ist wichtig. Entscheidend ist, diese Hilfe anzunehmen. Wichtig ist, dass alle in der Familie auf dem gleichen Wissensstand sind.

Ja, Eltern haben eine Pflicht zur Ehrlichkeit – aber sie sind keine Experten für Gesprächsführung, keine Mediziner, keine Kommunikationstrainer. Sie sind einfach Mama und Papa – und das ist entscheidend. Wenn eine Krebserkrankung die Familie trifft, wird diese Rolle umso wichtiger.

Kinder brauchen und verdienen Transparenz – altersgerecht und ehrlich. Das gilt nicht nur bei einer Krebserkrankung. Immer, wenn sich etwas in der Familie verändert, sollten sie einbezogen werden. Sie sind Teil der Familie und möchten das auch bleiben. Sie nicht einzubeziehen, bedeutet, sie auszuschließen – und das verletzt. Außenseiter zu sein, tut weh – egal ob groß oder klein.

Gespräche helfen dem Kind, die Situation zu verstehen. Es erkennt, warum die Atmosphäre angespannt ist, dass der Krebs der „Übeltäter“ ist – und muss sich nicht mit eigenen Fantasien behelfen.

Mit den Kindern im Gespräch zu sein und zu bleiben, schafft Verbindung und Geborgenheit. Wer sich verbunden fühlt, spürt: Ich bin nicht allein.
„Zusammen sind wir stark“ gibt Halt, spendet Hoffnung und stärkt das Vertrauen. Jede gemeinsam gemeisterte Krise zeigt, wie stark eine Familie ist – und lässt das Vertrauen in sich selbst und ins Leben wachsen.
Darum geht es: dass Kinder Vertrauen entwickeln. Vertrauen, dass es einen Weg gibt, selbst aus dem Labyrinth des Lebens. Dieses Vertrauen entsteht, wenn Eltern verlässlich sind – wenn sie das halten, was sie sagen.

Bei einer Krebsdiagnose muss nicht alles medizinisch korrekt oder detailliert erklärt werden – aber Kinder sollen informiert werden.
Was liegt vor? Was kommt auf uns zu – als Familie und als Einzelne?
Diese Fragen beschäftigen alle: den Betroffenen, den Partner, die Kinder.
Fragen stellen zu dürfen und ehrliche Antworten zu bekommen, schafft Transparenz – und bringt alle auf denselben Wissensstand. Das stellt Verbindung her. Keine falschen Versprechungen, sondern nur das zusichern, was wirklich möglich ist.

Verlässlichkeit bedeutet auch, die Wahrheit zu sagen – in einer Weise, die Hoffnung schenkt. Etwa so:

„Ich tue alles dafür, dass ich wieder gesund werde. Das wird nicht immer leicht sein. Es wird Kraft kosten – mich und uns. Vielleicht fließen Tränen. Vielleicht schlafe ich viel oder ich fühle mich schlapp– das liegt an der Krankheit und der Behandlung. Aber ich gebe mein Bestes. Und wir müssen nichts runterschlucken. Wir dürfen traurig sein, Fragen stellen, lachen, albern sein, uns umarmen, Freunde treffen, chillen und fernsehen – so wie es für uns gut ist. Wenn wir ratlos sind oder ein komisches Gefühl haben, setzen wir uns zusammen. Und wenn wir keine Lösung finden, holen wir uns Hilfe – von Oma, Opa, Tanten, Onkeln oder von Menschen, die sich gut mit Krebs auskennen. Experten, die Tipps haben. Wir bleiben stark. Und wir halten zusammen.“

Reden, reden, reden – das ist die Devise. Und wenn Reden nicht möglich ist, dann gilt es, andere Wege der Verbindung zu finden:
Eine WhatsApp, ein Zettel, eine Umarmung, ein Blick … Nähe schaffen, um die Distanz zu überwinden, die der Krebs erzeugt. Und wenn Eltern das nicht schaffen, dann kann eine vertraute Bezugsperson einspringen. Allein zu wissen, dass es jemanden gibt, der hilft, ist viel wert.

Wie also können Eltern in einer solchen Krise die perfekten Erziehungsberechtigten sein?
Indem sie es nicht sind.

Kinder brauchen keine Perfektion. Sie brauchen Eltern, die ehrlich sind, sich ihrer Verantwortung bewusst, Gefühle zeigen und Hilfe annehmen. Eltern, die sich respektieren, ihre Liebe leben und die als Team die Familie anführen.
Eltern, die auf der Erwachsenenebene klären, wie sie mit den Kindern im Gespräch bleiben, die Vorbilder sind – authentisch, zugewandt, mit dem Blick auf das Gute, ohne die Tatsachen zu verdrängen.
Die lachen, haben Spaß – und bleiben, was sie immer waren: Mama und Papa. Trotz Krebs.